Kneipenliteratur

Hier erscheinen in unregelmäßigen Abständen kurze Texte, die bei meinen nicht so unregelmäßigen Kneipenbesuchen entstanden sind...

 2.2.2016 (Tante Emma, Varel)

  "Ich bin ein Mensch und Schriftsteller mit Migrationshintergrund.
  Ich weiß nicht, woher ich komme und wohin ich eigentlich gehöre, aber hier bin ich definitiv fremd.
  Die meisten Menschen sprechen eine andere Sprache als ich. (Auch die meisten Deutschen).
  Sie reden in beeindruckenden Tempo und Umfang, während mir für das, was mir wichtig ist, fast immer die Worte fehlen.
  Ich verstehe selten, was sie sagen wollen und noch seltener, warum es sich lohnen sollte, über die Dinge zu sprechen, über die sie sprechen.
  Wie Politiker und Juristen sprechen, wie Unternehmensberater und Finanzbeamte sprechen, wie Bedienungsanleitungen, Datenschutzbestimmungen und Nutzungsbedingungen sprechen, wie PEGIDA spricht... Ich verstehe sie nicht!
  ...und ich weigere mich, ihre Sprache zu erlernen!
  In diese Kultur werde ich mich nicht integrieren!
  Ich werde weiterhin von Liebe, von Hoffnung und über unendliche Traumwelten sprechen und schreiben.
  Ich lebe in meinem Ghetto; verweigere das Anpassen, Mitlaufen und Konsumieren.
  Ich will für mich sein, mit den wenigen meinesgleichen."

28.1.2017 (Tante Emma, Varel)

  Zwei junge Damen (zu KyffKellerZeiten hätte ich sie eher schon dem reiferen Semester zugeordnet) setzen sich neben mich. Da muss ich, nachdem ich gerade angefangen hatte zu lesen, wieder etwas schreiben.
  Nicht, dass ich etwas zu sagen hätte...
  Es gäbe eher unendlich viel, was man mal ausführlich beschweigen sollte!
  Dieses Gefühl, dieses völlig ratlose und hilflose Gefühl, dass man etwas schreiben, etwas machen müsste, dass gerade etwas ganz furchtbar schief läuft..., aber was wirklich tun?
  Selbst mit all den Möglichkeiten, die ich habe, Social Media und durchaus ein paar Freunde... Was wirklich gegen den Rechtsruck, gegen den Abbau von Menschenrechten machen? Ein paar Posts schreiben, teilen? Dadurch ändert sich... exakt: Nichts.
  Die, die es erreicht, ticken wie ich. Die anderen lesen es nicht und wenn doch...:
  Sie wollen es nicht wissen. Diskutieren ist eine vergessene Sportart; jeder sucht in jedem Gespräch, beim Durchscrollen seiner Weltblase, nur nach Bestätigung seiner längst festgemauerten Meinung.
  Was genau sollten denn die Menschen in den 30er Jahren machen? Wie das aufhalten? Ich wüsste ihnen keinen Tipp zu geben..., außer halt, was ich auch mache:
  Im Umfeld Menschen anlächeln, kleine Gesten der Menschlichkeit, einen Tropfen Wärme auf den eiskalten, tiefgefrorenen Stein und wenn wir ganz viele Tropfen, wenn wir ein warmer Regen werden... Vielleicht ist da noch eine Chance.
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  „Ich möchte schreiben können!“ aus Alzagra – Immernoch einer meiner besten Texte.
  Auch heute würde ich gerne schreiben können. Was mich hindert:
  Dass ich jetzt schon als Fazit weiß, dass selbst, wenn es, was ich nicht glaube, gelingen sollte, sich durch Schreiben ja noch nie die Welt verändert hat, Geschichte noch nie aufgehalten wurde (Tucholsky).
  Egal. Ich schreibe weiter.
  Ich möchte schreiben können, dass die Welt einen Moment inne hielt, dass sich alle kurz besinnen und merken, dass wir alle Fremde sind.
  Ich möchte schreiben können, dass verkrustete Denkweisen und Weltbilder auseinanderbrechen, wieder frische Luft in Gehirne kommt und doch noch mal neues Denken, womöglich ausgerichtet an Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe.
  Wenn ich könnte, wenn es möglich wäre, würde ich schreiben, dass alle sich umarmen und zusammen „Imagine“ singen und dann leben...
  Aber das perfekte Lied ist schon geschrieben, viele aufrüttelnde Texte wurden in den letzten Jahrhunderten geschrieben..., hat einer geholfen?
  Ich möchte schweigen können, dass die ganze Welt auch in Schweigen verfiele, dass alle Hassreden, aller Waffenlärm für immer verstummten.
  Ich möchte schweigen können, dass alle mehrere Tage schwiegen, in die Gegend starrten, diese wunderschöne Gegend, die wundervolle Erde endlich wahrnehmen würden, sich selber kennen und lieben lernen und dann, jeder an seinem Platz, ganz leise und behutsam seinen Nachbarn begrüßt, seine Umgebung wahrnimmt und die Menschen, die Mitmenschen, offen und vorurteilslos kennenlernt.
  Ich möchte schweigen können, dass alle Spinner die Klappe halten würden, weil Schweigen auf einmal cooler wäre..., dass alle selbstsicheren Menschen mal für eine Woche die Klappe hielten und all die tiefen unsicheren Seelen mal ganz in Ruhe ein paar wenige Sätze sagen könnten und gehört würden... und ihre Weisheit würde in unumstößliche Gesetze gepresst und dann dürfen die anderen auch wieder was sagen, ohne dass sie alles kaputt machen könnten.
  Ohne Zweifel, das alles wäre ich gerne, täte ich gerne, aber woran ich schon seit 2 Seiten eigentlich nur denke...:
  Ich möchte mit Dir schweigen, am See sitzen, auf dem Steg, die Füße im Wasser.
  Den Freund an der Seite spüren und alles wäre gut.
  Trotz allem. Dann wäre alles gut!
  Der Schlüssel zum Glück liegt immer nur im Kleinen, im Leisen, im persönlichen zwischen zwei Menschen...


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