"Der perfekte Kaffee" (Ein Kännchen Leben) - Roman, 116 Seiten.
Preis: Taschenbuch 5,99 € - E-Book 3,99 €
"Träume, die nach Kaffee duften, sind immer gute Träume"
Der junge Mann mit den dunklen Haaren saß am Tisch schräg gegenüber.
Anfangs sah ich nur zu ihm, weil ich neidisch auf ihn war. Sein Tisch stand in der Sonne, während ich im Schatten fror, an diesem, für Anfang Juli, ungewöhnlich kalten Tag.
Es dauerte eine Weile, bis ich mir darüber im Klaren war, warum ich meine Augen nicht mehr von ihm lassen konnte und warum mir, als er seinen Kaffee ausgetrunken hatte, irgendwie auch warm war.
Er hatte ein großes Kännchen mit Kaffee und ein kleines Kännchen mit Milch auf seinem Tisch stehen. Vor jedem Schluck sah er in seine Tasse, schüttete dann etwas Milch oder Kaffee aus den Kännchen nach, rührte kurz um, schaute wieder und korrigierte bei Bedarf noch einmal - wie ein Maler, der mit der Farbe oder Intensität des Bildes nicht ganz zufrieden ist und noch eine Schicht aufträgt.
Bevor er trank, schloss er die Augen, roch an dem Kaffee und nahm dann ganz langsam und behutsam, fast zärtlich, einen Schluck. Die Tasse verharrte immer lange an seinen Lippen und auf seinem Gesicht spielte sich jedes Mal eine ganze Geschichte ab. Intensive Gefühle von Freude, Hoffnung, Liebe und Glück.
Er schien in Gedanken sehr weit weg zu sein; bekam auch nichts mit, von dem, was um ihn herum geschah - weder das laute Scheppern, als die Kellnerin ihr Tablett hinter ihm fallen ließ, noch das schrille Geschrei des Babys im vorbeifahrenden Kinderwagen.
Nachdem ich zuerst gedacht hatte, er genieße einen außergewöhnlich guten Kaffee, war mir am Ende klar: Er hatte dort eben sein ganzes Leben ausgetrunken. Als wenn dieser Film, den wir angeblich kurz vor dem Tod in uns sehen, bei ihm eben beim Trinken dieses Kännchens abgelaufen war...
„Das Leben ausgetrunken“ – erscheint mir keine gelungene Formulierung, aber genauso, wortwörtlich, fühlte es sich an. Vielleicht weil ich jedes Mal, wenn ich zu ihm hinsah, das Gefühl hatte, er sei älter geworden. Entweder hatte mich anfangs die Sonne geblendet oder er war während des Trinkens um Jahrzehnte gealtert. Da saß in Wirklichkeit ein grauhaariger Mann, mit vielen Falten im Gesicht.
Was geschah mit ihm, nachdem er den letzten Schluck getrunken hatte?
Ich weiß es nicht. Ich hatte inzwischen versucht, ähnliche Gefühle mit meiner Cola zu erleben. Sie schmeckte zwar erfrischend und prickelnd, aber wenn ich die Augen schloss, spielte sich in meiner Phantasie nicht viel ab - Ich sah mich fröstelnd im Schatten sitzen und Cola trinken...
Ich schaute noch einmal zu dem Mann und während er die Farbe mixte, diesmal mit so viel Milch, dass der Kaffee grau bis weiß sein musste, erkannte ich meinen Fehler. Ich hob langsam mein Glas, schaute lange auf die Farbe meiner Limonade (hoffte dabei, dass mich niemand beobachtete) schloss die Augen und trank langsam und behutsam einen Schluck klebriges Zuckerwasser...
Ich saß wieder im Kunst-Unterricht, halblinks hinter Susanne, deren dunkelbraune Haare tatsächlich eine, mir damals nicht aufgefallene, Ähnlichkeit mit Cola hatten... Der Unterricht war selbst in der Erinnerung zähklebrig wie früher und wie das Getränk in meinem Mund jetzt, aber wie ich Susanne nun, diesmal ganz in Ruhe, von der Seite betrachtete, hatte ich auf einmal eine sehr deutliche Vorstellung davon, was ein wahres Kunstwerk ist...
Ich schluckte die Cola hinunter, Susanne drehte sich um, ein kaltes, erfrischendes Prickeln in der Kehle, ein heißer, belebender Schauer auf dem Rücken...
Als ich die Augen wieder öffnete, saß er nicht mehr da.
Die Bedienung räumte gerade seine Kännchen auf ein Tablett. Ich schaute mich schnell um, aber auch auf der Straße war er nirgends zu sehen.
Irgendwie bin ich der festen Überzeugung, dass er sich nach dem letzten Schluck einfach so, nein, nicht einfach so, mit einem zufriedenen und glücklichen Lächeln, nach einem langen und erfüllten Leben, in Luft aufgelöst hat...